Berta Stimpfl, geb. Tappeiner (Verfolgung)

Jg. 1911, Optantin, nicht ausgewandert

Aber in der Nachbarschaft sind nicht alle zurückgekommen. Jene, denen es ein bisschen ‚gefehlt‘ hat, die sind nicht mehr gekommen, […] das hat man alles erst ‚hintennach‘ erfragt, … beim Hitler hat’s geheißen: Diese muss man fertig machen! Jene, die Behinderten! […] Hat man halt gelesen, ob’s wahr ist? Die sind nicht mehr heimgekommen. Ich habe mir halt immer gedacht, die werden auch vergast oder etwas worden sein. … Das hat man alles ‚hintennach‘ gelesen, … die haben sie fertig gemacht! […] Nachbarn sind gewesen, Nachbarn, [von denen] auch einer nicht [zurück]gekommen ist… Angerer hat man die geheißen. […] Jaja, wie alt ist er vermutlich gewesen? Vielleicht so 25, 30 [Jahre]. Der ist immer auf dem ‚Solder‘ [Stiegenaufgang] gewesen, dem habe ich vom Fenster aus immer zugeschaut,… dann hat er immer so getan [tippt beide Zeigefinger heftig gegeneinander]… Dann habe ich mir gedacht: Wahrscheinlich hat der ‚Gigger‘ [Hähne] im Kopf […]. Eben, dem hat es ‚gefehlt‘! Wenn die Eltern [dabei] sind, geht es denen ja immer noch gut. Aber der ist nicht mehr zurückgekommen! […] Die sind ausgewandert, das ist nicht da [passiert]. Da ist nichts passiert. Aber wenn die Familie ausgewandert ist und [als] die zurückgekommen sind – der hat gefehlt. Dann habe ich mir gedacht: Ja … mit denen ist der Hitler ‚abgefahren‘! […] Die zahlen sich nicht aus. … Leute, die nicht arbeiten können … Wie mit den Juden. Nein, das ist schon auch traurig! Das ist schon auch traurig, dass sie die [Juden] in Laas da, halt in Südtirol haben ‚zusammengenommen‘ … und da sind vielleicht unsere Leute auch schon ein bisschen schuld … gewesen, weil sonst hätten sie nicht alle gewusst!

[War das nach dem 8. September 1943?] 1943! Damals haben wir geheiratet, 1943. Sonst haben wir schon alles ein bisschen gehabt, aber ich habe gesagt: Weißt, wenn ich kochen [muss], ich brauche kleine Pfannen und kleine Häfen. Und in den Läden, wenn einmal Krieg wird, ist nichts mehr! Die Regale sind alle leer! Dann bin ich nach Meran gefahren. In Meran habe ich eine gute Bekannt gehabt, dann bin ich mit der in Meran suchen gegangen. Ich brauche doch Schüsseln und kleine Häfen und kleine Pfannen! Und … die Türen sind offen gewesen, alles … nichts herum, nirgends! Ja, und die, die mit mir gegangen ist, ist sonst eine [ortskundige Person] gewesen. … Dann hat sie gesagt: ‚Jetzt [gibt’s] wirklich nichts mehr!‘ Jetzt gehen wir der Hauptstraße [entlang], und [da] ist eine Türe offen gewesen von einem Geschäft, und ich sehe Leute drinnen! ‚Oh, du!‘, sage ich, ‚da sind Leute drinnen!‘ Weil sonst sind auch keine Leute nie in keinem Geschäft gewesen. Dann: ‚Jaja, gehen wir hinein!‘ Jetzt sind in diesem Geschäft – alles ist verkauft worden: kleine Reine, kleine Häfen, kleine Schüsseln; alles habe ich bekommen, was ich gewollt habe! Ja, ist das nur möglich? Ich bin nach Hause, [habe es] der Mutter gezeigt. ‚Ja‘, hat sie gesagt, ‚da hast jetzt aber schon Glück gehabt!‘ Wissen Sie was gewesen ist? Dieses Geschäft hat einem Juden gehört. Diesen Juden haben sie am Tag zuvor auch weg, unten [in Meran] haben sie alle Juden auch ‚zusammengenommen‘ – weg! Jetzt in der Zeitung [habe ich] gelesen: Innsbruck, und von Innsbruck sind die meisten dann [nach] Braunschweig [Auschwitz] gekommen – vergast [worden]! Dieses Geschäft eben hat einem Juden gehört, und mit diesem Juden sind sie,… Wer weiß, wer das gewesen ist? … Alles [ist] verkauft worden! Und … das Geld! Ich habe halt Glück gehabt, dass ich da diese Sachen gekriegt habe. Aber das glaubt gar niemand, dass wenn ein Krieg kommt, ist nichts mehr herum! Nur, die Mutter hat mir öfters mal Butter mitgegeben oder Fleisch oder Eier, dann hat man eine Kleinigkeit bekommen. Nur durch den [Tauschhandel] – ja, Lebensmittel. Aber damals habe ich es können bezahlen! Das muss man erleben! Ich erzähle es meinen Kindern immer, dass nichts herum ist. Wenn ein Krieg kommt, ist fertig! Alles weg!