Edmund Dellago (Ladiner_innen)

Jg. 1933, Rücksiedler

1939 hat es geheißen: So, und jetzt wandern wir aus. Der Druck war ja extrem stark, von den Befürwortern der Option, von den Befürwortern der Auswanderer. Ich weiß nicht, wie es im übrigen Südtirol war, aber in Gröden, sei es in St. Ulrich, sei es in Christina, sei es in Wolkenstein, da ist großer Druck ausgeübt worden, zu optieren, sich für Deutschland zu bekennen. Das ist ja bekannt, dass man sonst nach Sizilien auswandern müsste und so Sachen, die sind damals so kolportiert worden, die sind nachher, später widersprochen worden, aber inzwischen hat man optiert. Und gerade in St. Ulrich hat ja eine ganz eine große Menge, wenn es mich nicht täuscht, waren es um die 80%, die genauen Prozentsätze sind ein bisschen, nicht ganz klar, man hat es zum Teil verbessert, es sind handschriftliche Notizen auf den Protokollen der Gemeinde, aber anscheinend um die 80% und in St. Christina, Wolkenstein nicht viel weniger, während dem es im Gadertal glaub ich nur 40 oder 50 oder 60% waren. Also Gröden war ganz stark damit befasst, mit der Auswanderung. Es ist halt so gewesen: Diejenigen Leute, Optanten, die große Besitze gehabt haben, die sind am Anfang sicher nicht ausgewandert, weil es war nicht so einfach, diese Besitze zu verkaufen dem ‚Ente Tre Venezie‘ und dann eventuell das Gleiche in Deutschland zurückzubekommen, auch wenn es versprochen worden ist. Ich kenne nur einen Fall, wo ein Grödner ein wunderbares Hotel in Kärnten bekommen hat, dafür dass er verzichtet hat auf ein Hotel in St. Ulrich, ein Hotel, das anscheinend früher jüdischer Besitz war. […]

Meine Eltern waren arm. […] Und dann hat er [der Vater] gesagt, das ist kein Leben, wir haben keine Zukunft da, wandern wir aus. Ich bin dann noch ein Jahr lang, das erste Jahr in die italienische Schule gegangen mit sechs, eine Sprache die mir überhaupt unbekannt war, aber ich bin dann gleich auch gut reingekommen und für mich war das dann sowieso ein großer Vorteil, dass ich dieses eine Jahr gemacht habe, auch wenn es dann in Deutschland, beziehungsweise Österreich, was damals dann die Ostmark war, nicht, viele Zeit nicht mehr so wichtig war, ob man italienisch kann oder nicht. Aber natürlich, grödnerisch ist daheim gesprochen worden, bei uns zu Hause, und natürlich wenn es dann geheißen hat, wir wandern aus, dann ist nur mehr deutsch gesprochen, damit wir Deutsch lernen, richtig, nicht. […]

Und dann 1940 im Herbst hat man die Möbel verpackt und nach Klausen geschickt mit der Bahn und wir sind ein paar Tage drauf alle raus, und großes ‚Hallo‘, die Verwandten alle, die Bekannten sind auch mit rausgefahren, um sich zu verabschieden, und dann sind wir nach Innsbruck gefahren mit dem Zug, natürlich für mich eine tolle Sache, ich war ja noch nie in einem drinnen Zug vorher und ein neues Land, wer weiß, wie schön das ist, man hat uns ja erzählt, wie wunderbar es draußen sein soll, nicht. Auch wenn dann alles nicht gestimmt hat, wo man uns hinschicken wollte, man wollte die Grödner ja geschlossen in ein Gebiet verschicken, wo sie wieder schnitzen können, nicht. Man hat herausgeschaut ein Gebiet in Nordfrankreich, oder an der französischen Grenze, oder an der Krim, oder in Kärnten, und, und. Sind auch einige Leute rausgefahren, sich das anschauen, sind wieder zurückgekommen, haben gesagt, da ist kein Platz, da sind ja schon Leute! Da können wir nicht hinkommen. […]

1952 bin ich dann zurück nach Gröden, mit Familie. Einer meiner Brüder, der war schon davor da, den haben wir aufgrund der großen Not, die draußen war, und der weniger großen Not, die da in Südtirol war, hat ihn meine Mutter schwarz hereingeschmuggelt und der ist dann dageblieben. Früher war das möglich, nicht. Heutzutage ginge das ja nicht mehr. Der ist dann bei meiner Großmutter geblieben und dann sind wir 1952 zusammen und seitdem sind wir in St. Ulrich. Und ich muss zurückblickend muss ich schon sagen, für mich war es, sagen wir die ganze Auswanderung war ein Trauma an sich. Aber es hat sich dann herausgestellt, dass es ein großer Vorteil war. Denn wenn ich da bleiben hätte müssen, dann – wenn es mir gut gegangen wäre, dann hätte ich können Priester studieren. Nicht, weil sonst war ja keine, Ulrich hat ja keine Schulen gehabt in dieser Art, das ist alles nach dem Krieg erst gekommen, nicht, und draußen hat man doch eine gewisse Bildung gehabt und hat sich dann leicht getan, da einen guten Job zu kriegen, weil wenn ich nach Gröden gekommen bin, ’52, da waren vielleicht zwei, drei Leute da, die Englisch können haben, von Französisch gar nicht zu reden, da war überhaupt niemand da. Und das ist dann ein Mordsvorteil gewesen für mein weiteres Leben.

[Darf ich sie fragen, das hat jetzt mit der Option nichts zu tun: Deutsch, Italienisch, Englisch, Französisch, Ladinisch?]

Und Spanisch. Und Latein. Acht Jahre (lacht).

[Und wenn man es genau nimmt, Südtiroler Dialekt und Oberösterreichischen.]

Ja (lacht). Ich habe noch viele Freunde draußen in Attnang, ja. Gehe auch immer wieder raus, das ist nett.

[Sie sind ein Sprachengenie, eigentlich.]

Ja, sagen wir, das ist nicht vielleicht mein Verdienst, das ist Verdienst der kulturellen Situation in Gröden, weil, man soll es nicht für möglich halten, aber das Grödnerische ist eine Leiter, Sprungbrett für Fremdsprachen, weil durch die Verwandtschaft der indogermanischen Sprachen – die Grödner haben ja von überall importiert, natürlich, weil unser Lexikon, unser Wortschatz war ja sehr gering, vielleicht 8000 Wörter oder so, nicht. Dann aber diese 8000 sind auch von überall importiert worden und adaptiert worden,  und dann, wenn jemand anfängt Französisch zu lernen, dann meint er sowieso, er ist daheim, nicht, weil Französisch heißt springen ‚sauter‘ und bei uns heißt es ‚salte‘ , und solche Parallelismen gibt es Hunderte, nicht. Wenn ein Grödner auf einen Bahnhof kommt in Frankreich, dann ist er der erste, der in den richtigen Zug einsteigt, weil er versteht ein Wort, was da geredet wird, nicht (lacht). Wirklich! Und im Englischen ist es ähnlich, weil Englisch ist sowieso eine Sprache, die von überall gekauft und gestohlen hat, nicht. Deshalb ist es für uns eigentlich relativ, es ist nur die Bildung, wie sie jetzt ist, die ist sehr generell, nicht, aber natürlich haltet sie bei einem gewissen Niveau auf, nicht. Und wenn man dann wirklich spezialisieren will, dann muss man eine Uni besuchen, aber dann hat man natürlich die ganze Welt frei (lacht). […]

Die Schule, das war ein Muss, da gibt es nichts anderes, es war nur italienische Schule, und dann ist man eigentlich, ja, durch das Grödnerische hat man schon, verstanden hat man es schon, nicht. Und in der Kirche hat man ja auch immer wieder italienisch geredet, nicht, die Pfarrer haben auch zum Teil italienisch gesprochen, also das war keine Fremdsprache für uns, nicht. War keine Fremdsprache, nicht. Es ist auch, es ist ja heute nicht so, dass in Gröden nur Grödnerisch gesprochen wird und die anderen sind Fremdsprachen. Wir haben wirklich, wir sprechen wirklich die drei Landessprachen. Und nicht schlecht. Sei es das Italienische, sei es das Grödnerische, die einen vielleicht ein bisschen besser das Deutsche, die anderen besser das Italienische – besser! Perfekter, sagen wir, gut sprechen sie es alle, nicht. Und deshalb war die erste Klasse war eigentlich lustig. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wer der Lehrer war, vielleicht war es sogar ein Grödner, der Direktor war ganz sicher der Grödner, Aldroscher [?], sehr ein fähiger Mann, politisch sehr stark tendierend Richtung Italien, sonst hätte er den Posten nicht bekommen, nicht, das hat man ja auch müssen bedenken. Und ja. Mir wäre es auch gleich gewesen natürlich zu bleiben, absolut, nicht. Aber die Eltern haben so entschieden. […]

[Was hat man da gemacht, nach der Ankunft in Innsbruck?]

Nichts, nichts. Warten, warten bis wir die Papiere kriegen.

[Wo habt ihr da gewohnt?]

Zuerst war, Reichenau, meine ich hat es geheißen, ich weiß nicht mehr, dort war ein Lager. Und dann waren wir in einem Gasthaus direkt an der Mariatheresienstraße, ich weiß nicht mehr wie es geheißen hat. Aber nur für ein paar Tage. Und dann, das war keine, war keine Zukunft, nicht, wir haben müssen das Essen, so eine Feldküche war da, das war ja von der Traufe in die Gosse, nicht. Wir waren ja entsetzt! Nicht. Was haben wir uns, in was für Abenteuer haben wir uns da fallengelassen. Es waren mehrere Grödner dort. Und es sind einige auch in die Nähe von Attnang hingekommen, viele sind nach Lienz gekommen. Mit den Attnanger Grödnern haben wir viel Kontakt gehabt. Nicht, weil die sind doch ein bisschen bekannt gewesen, die waren Kastelruther auch dabei, und mit denen sind wir öfter Fahrradfahren gewesen.

[Gab es einen Zusammenhalt in Attnang?]

Ja, wohl, bis Kriegsende, dann ist jeder seinen Weg gegangen. […]

[Haben Sie eine Erklärung dafür, dass in Gröden 80% und in Gadertal 40% für das Deutsche Reich optiert haben?]

Im Gadertal war damals nur Landwirtschaft. Und Landwirtschaft – sag einmal einem Bauern, er soll auswandern! Der wandert nicht aus. Der ist ja dort auf seinem Hof König daheim, da braucht es schon mehr als wie eine Überzeugung. Während dem, bei uns war die Landwirtschaft vielleicht 10%. Damals schon. Besonders in Ulrich. Heute glaub ich sechs.